Build the Web for Agents – Ein Manifest für die Zukunft des Netzes

Seit den Anfängen des World Wide Web war das Ziel stets klar: Menschen Informationen zugänglich zu machen, Kommunikation zu ermöglichen, digitale Räume zu öffnen. Webseiten, Protokolle und Interfaces sind durch und durch anthropozentrisch – sie richten sich an Augen, Hände, Klicks und Tastaturen.

Doch im Jahr 2025 befinden wir uns an einem Wendepunkt. Immer mehr digitale Akteure im Netz sind keine Menschen, sondern Agenten: autonome Systeme, die für uns Informationen recherchieren, Produkte vergleichen, Reservierungen tätigen oder komplexe Prozesse ausführen. Und diese Agenten stoßen auf eine Welt, die nie für sie gemacht wurde.

Das Positionspapier „Build the web for agents, not agents for the web“ fordert daher nichts weniger als einen Paradigmenwechsel. Statt Agenten krampfhaft in eine menschenzentrierte Architektur hineinzuzwingen – sei es über fragile DOM-Parsing-Tricks oder visuelle Screenshots – sollten wir das Web so gestalten, dass es Agenten explizit adressiert.

Die Vision: Agentic Web Interfaces (AWIs)

Kern der Debatte sind sogenannte Agentic Web Interfaces (AWIs). Sie bilden eine zusätzliche Ebene über den bestehenden Interfaces: nicht als Ersatz für die menschliche Interaktion, sondern als parallele, klar definierte Schicht für maschinelle Akteure.

Während heutige Agenten sich durch endlose HTML-Bäume hangeln oder visuelle Oberflächen „nachahmen“ müssen, würden AWIs abstrahierte Zustände und höherstufige Aktionen bereitstellen. Ein Agent müsste nicht mehr wissen, welches div den Warenkorb repräsentiert oder welche CSS-Klasse der „Kaufen“-Button trägt – er bekäme schlicht die Aktion add_to_cart(product_id, qty) angeboten.

Das Web würde damit von einem mühsam zu entziffernden Code-Teppich zu einer sprechenden Grammatik für digitale Akteure.

Harte Leitplanken für ein neues Web

Damit das nicht zur digitalen Anarchie wird, formuliert das Papier sechs zentrale Prinzipien:

  • Standardisiert: AWIs müssen klar spezifiziert und kompatibel sein, damit verschiedene Agenten interoperabel arbeiten können.

  • Human-zentriert: Trotz maschineller Zugänglichkeit bleibt der Mensch der Adressat; Kontrolle, Transparenz und Privatsphäre stehen im Vordergrund.

  • Sicher: Schutz vor bösartigen Agenten, Missbrauch und Fehlhandlungen durch strenge Zugriffsrechte und Kontrollmechanismen.

  • Optimale Repräsentationen: Weder zu viel Rauschen (DOM) noch zu wenig Kontext (Screenshots); stattdessen adaptive Informationsdarstellung.

  • Effizient: Skalierbarkeit muss gewährleistet sein, um Milliarden von Agenten-Requests zu bewältigen.

  • Developer-freundlich: Bestehende Systeme sollen sich ohne radikale Umbrüche in AWIs integrieren lassen.

Diese Punkte wirken nüchtern, sind aber in Wahrheit hochphilosophisch: Sie markieren den Übergang von einem Netz für Menschen hin zu einem Netz für Menschen und ihre Stellvertreter.

Beispiel: Ein Onlineshop für Agenten

Man stelle sich einen Shop vor, der ein AWI bereitstellt.
Ein Agent könnte dort nicht nur stöbern, sondern direkt mit klar definierten Aktionen arbeiten:

				
					search("Sneaker") → filter({size: 42, color: "white"}) → add_to_cart(item_id, 2) → checkout(dry_run=true).
				
			

Das System würde dabei Sicherheitsnetze spannen: Ein Checkout könnte etwa eine biometrische Bestätigung erfordern, Löschungen von Konten wären nur mit expliziter Zustimmung möglich. Informationen würden progressiv übertragen – kleine Thumbnails statt hochauflösender Bilder, bis der Agent Details nachfordert.

So bleibt das Erlebnis effizient, sicher und kontrollierbar – für Mensch wie Maschine.

Zwischen Technik und Philosophie

Warum ist diese Diskussion so brisant?
Weil sie die Grundfrage aufwirft, wem das Web eigentlich gehört. Wenn schon heute ein erheblicher Teil des Traffics von KI-Systemen stammt, dann ist es naiv zu glauben, wir könnten das Netz auf Dauer rein menschlich definieren.

AWIs schlagen keinen Bruch mit der Vergangenheit vor, sondern eine Koexistenz: Menschen behalten ihre Interfaces, Agenten bekommen ihre eigenen. Es ist die Anerkennung, dass im digitalen Raum längst neue „Subjekte“ entstanden sind – Werkzeuge, Helfer, Stellvertreter –, die nicht ignoriert werden können.

Die Herausforderung liegt darin, die Balance zu halten: Ein Web, das offen für Maschinen ist, darf nicht unkontrollierbar werden. Sicherheit, Ethik und menschliche Kontrolle müssen das Fundament bilden.

Ein Manifest für die nächste Dekade

„Build the web for agents, not agents for the web“ ist mehr als eine technische Empfehlung. Es ist ein Manifest für die Zukunft des Internets.

Wenn wir die Architektur des Webs bewusst für Agenten öffnen, gestalten wir eine neue Ordnung:

  • Ein Web, das Menschen entlastet, weil ihre digitalen Stellvertreter effizient handeln können.

  • Ein Web, das fair und transparent bleibt, weil Zugriffsrechte und Sicherheit von Anfang an mitgedacht sind.

  • Ein Web, das nicht länger in mühsamen Hacks zwischen DOM und Bot-Sperren verharrt, sondern eine klare Sprache für Mensch und Maschine zugleich spricht.

Die Frage ist nicht mehr, ob Agenten Teil des Netzes sind. Sie sind es längst. Die Frage ist nur: Gestalten wir ein Web für sie – oder lassen wir sie weiter in einer Welt operieren, die ihnen nie zugedacht war?